Tuesday, February 7, 2012

Kann die BND-Historikerkommission die Aktenoffenlegung ersetzen?


Beispiele aus eigener Erfahrung zeigen, dass der Ansatz der BND-Historiker-Kommission beschränkt ist und wirklich heiklen Fragen jeweils aus dem Weg gegangen wird. Es ist beschämend, dass verschiedene deutsche Politiker hinter diesem Feigenblatt Schadensbegrenzung betreiben, anstatt für die konsequente Offenlegung und eine saubere Vergangenheitsverarbeitung zu plädieren (s. Protokoll des Bundestagssitzung vom 27.1.2012 ab S. 18721)

Siehe Debatte ab 1:20:30

Ich wandte mich mit dem folgenden Anliegen an ein BND-Kommissionsmitglied, worauf ich rasch eine höfliche, aber sehr unbefriedigende Antwort erhielt.

Der Fall Kurt Becher
1962/63 machte der Schweizer Journalist Kurt Emmenegger eine umfangreiche Recherche über den deutschen NS-Verbrecher Kurt Andreas Ernst Becher für die damalige Schweizer Zeitschrift "Sie & Er". Daraus entstand eine viel beachtete 18-teilige Serie. Anfang der 90er-Jahre erzählte mir der inzwischen verstorbene Emmenegger, dass er seine aufwendigen und teuren Untersuchungen unterbrechen musste, z.T. auch, weil seine Rechercheure Morddrohungen vom BND erhielten. Emmenegger solle - so der BND gemäss dem Journalisten - Herrn Becher, der damals als reicher Geschäftsmann in Bremen lebte, in Ruhe lassen. Diese Information passte zu anderen Indizien.
Ich fragte besagten Professor, ob beim BND ein Becher-Dossier existiere. Anstatt mir Fragen zu Becher zu stellen, schickte er mir eine Antwort, aus der hervorgeht, dass diese Angelegenheit die Kommission nicht interessiere.
Fritz Bauer
Bei einer anderen unbeantworteten Mail von mir an den BND ging es um die bis heute unaufgeklärten Todesumstände des hessischen Staatsanwalts Fritz Bauer im Jahr 1968. Bekannt wurde Bauer durch seinen unermüdlichen Kampf gegen Nazi-Verbrecher, vor allem im System der jungen Bundesrepublik. Dafür bekam er ständig Morddrohungen und machte sich bei verschiedenen Amtsstellen sehr unbeliebt. Es ist kein Zufall, dass, als er 1957 Informationen über den Aufenthaltsort Adolf Eichmanns erhielt, er sich an die israelische Vertretung in Deutschland, und nicht an die deutschen Behörden wandte. Aber auch die israelischen Zuständigen waren nicht darauf erpicht, den Nazi-Verbrecher aus Argentinien zu holen. Vieles spricht dafür, dass erst Ende 1959 im Rahmen eines stillen Aufstands gegen den damaligen Premier, David Ben-Gurion, der Geheimdienstchef Isser Harel beschloss, Bauers Auskunft endlich zu verwenden und Eichmann zu entführen.
Ziel dieser in den Medien völlig überbewerteten geheimdienstlichen Operation war offensichtlich, die Annäherung zwischen Israel und der BRD zu sabotieren. Tatsache ist, dass die Entführung eine Krise in den schwierigen Beziehungen brachte und Kanzler Konrad Adenauer die Sistierung jeglicher Zahlungen an Israel verordnete, darunter auch die schon versprochenen DM 500 Millionen für das israelische Atomprojekt. Ben-Gurion ging, um Adenauer zu beruhigen, praktisch in die Knie. Er mischte sich in den Eichmann-Prozess ein und schaute z.B. dazu, dass der Name des Adenauer-Beraters, Hans Globke, unerwähnt bleibt. Das juristische Verfahren gegen Eichmann wurde zu einem Schauprozess, und zwar, wie dies israelische Quellen zeigen, gegen den Willen Ben-Gurions, der aber den propagandistischen Zug weder im Gerichtssaal, noch in den Medien zu verhindern vermochte. Ausserdem versprach der israelische Regierungschef, dass keine der 2,000 NS-Kriegsverbrechen, die im Ludwigsburger Archiv registriert waren, durch Israel verfolgt werden.
Dass Bauer mit einem so beschämenden Deal einverstanden gewesen wäre, ist völlig ausgeschlossen, und es ist anzunehmen, dass er etwas dagegen unternahm. Es mutet jedenfalls seltsam an, dass Israel nie von der BRD forderte, die Todesumstände dieses wichtigen antifaschistischen Kämpfers endlich zu klären. Nun ist es höchste Zeit, auch das Dossier Bauer beim BND, im Staatschutz, aber auch in Israel offenzulegen!
Walter Rauff
Die Entdeckung der BND-Historikerkommission, dass der schwere Nazi-Verbrecher Walter Rauff für den BND gearbeitet habe, wurde mit grossem Medienecho begleitet. Im Rahmen der medialen Begeisterung wurde jedoch vergessen, einige kritische Fragen zu stellen. Zum Beispiel, warum ausgerechnet ein ehemaliger SS-Offizier eingesetzt wurde, um 1958 in Kuba für die BRD zu spionieren, wie die Kommission enthüllte. Oder, was für eigenständige BND-Interessen es in Kuba gab.
Jeder Geschichtsstudent lernt in den ersten Semestern, dass ein Dokument in einen grösseren Zusammenhang eingebettet werden soll. Offensichtlich wurde diese Grundregel bei der obigen Enthüllung nicht berücksichtigt, dass Rauff bereits vorher für den israelischen Geheimdienst gearbeitet hatte und gemäss seinem Verbindungsmann, Shalhevet Freier, die Beziehungen nicht abrissen, nachdem Freier dem Nazi-Verbrecher nach Südamerika zu fliehen half. Einiges deutet darauf hin, dass der israelische und sicherlich der US Geheimdienst möglicherweise in diese Operation involviert waren. 
Keine Person aus der BND-Historikerkommission nahm mit mir Kontakt auf, um herauszufinden, wie es mit meinen Dokumenten zu Rauff stehe, die ich für meine Publikation in der israelischen Zeitung Ha'aretz verwandte.

Die drei obigen Beispiele demonstrieren, warum es notwendig ist, dass Geheimdokumente offengelegt werden, was die Auswertung durch Experten nicht verhindert, sondern, ganz im Gegenteil, noch fördert! In nächster Zeit ist mit einem Aufruf aus Israel in diesem Sinne zu rechnen. Es besteht zu diesem Thema schon eine breite, von weit rechts bis ganz links reichende Koalition.


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