Monday, June 27, 2011

Kritische Bemerkungen zur BDS-Kampagne gegen Israel



Die Boykott-Kampagne gegen die israelische Besatzungspolitik und den dortigen Rassismus hat etwas Verlockendes für Friedensbefürworter. Ist diese Aktion jedoch selber rassistisch oder effektiv und macht sie überhaupt Sinn oder ist sie lediglich zu einer Alibiübung bzw. Religion verkommen?

Die internationale Kampagne für Boykott, Desinvestition und Sanktionen (BDS) gegen Israel scheint auf den ersten Blick eine logische Konsequenz der grausamen Politik Israels und der Schwäche des israelischen Friedenslagers, aber auch des palästinensischen Befreiungskampfs. Es scheint, dass es nur unter Druck von Aussen eine Chance für eine positive Änderung gibt. Die BDS-Kampagne scheint ebenfalls gut dazu geeignet, die wachsende internationale Kritik der Basis zum Ausdruck zu bringen. Angesichts heftiger israelischer Reaktionen auf die BDS erweckt diese Kampagne den Eindruck, eine empfindliche Stelle getroffen zu haben.

Der Schein trügt indes, und zwar gewaltig. Es ist nicht nur so, dass die Wirksamkeit der Kampagne sehr beschränkt, sondern sogar oft kontraproduktiv ist. Ich schreibe dies als einer, der den Boykott Israels während fast 20 Jahren bis 2002/03 unterstützte und propagierte.
Tatsächlich schwingen bei der BDS-Kampagne – bewusst oder unbewusst – nicht selten antijüdische Ressentiments mit. Obwohl ich den Vergleich mit der NS-Kampagne "Kauft nicht bei Juden" nicht ohne weiteres gutheissen kann: Leider wissen nicht alle Kampagne-Unterstützenden – und auch deren Kritiker – nicht immer zwischen dem Staat Israel und Juden zu unterscheiden.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, warum nur Israel boykottiert wird. Denn ohne die gravierenden israelischen Menschrechtsverletzungen zu verharmlosen, muss festgestellt werden, dass der erste Platz als verbrecherischstes Regime der Welt leider heiss umkämpft ist und Israel nicht an dessen Spitze und schon gar nicht einsam da steht. Was den Fall Israel jedoch speziell macht, ist nicht nur die aussergewöhnliche mediale Aufmerksamkeit, die diesem Staat zuteil wird, sondern dessen heuchlerischer Anspruch, im Namen jüdischer NS-Opfer zu handeln und diese als eine Art Lizenz zum Töten zu missbrauchen.
Es gibt bei den verschiedenen Publikationen aus dem Umfeld der BDS-Kampagne falsche und unverhältnismässige Behauptungen, die weit über das Ziel hinaus schiessen. Diese sind zwar nicht immer rassistisch motiviert, würden jedoch eine bessere Selbstreflektion und Prüfung der Fakten benötigen.
Der berechtigte und notwendige Protest gegen die grausame israelische Politik wird zudem falsch kanalisiert, nicht zuletzt insofern, weil wie von führenden Personen der Kampagne (z.B. vom israelischen Historiker Ilan Pappé) behauptet wird, dies sei der einzige Weg, Gerechtigkeit für die Palästinenser zu erreichen. Sie wird wie eine Religion gepflegt. Eine sachliche Kritik wird schlecht vertragen und andere vielversprechende Aktionsvorschläge werden kaum wahrgenommen bzw. diskutiert.
Kleine Erfolge von BDS-Kampagnen werden jeweils völlig übertrieben gefeiert. So beschloss vor zwei Jahren die staatliche norwegische Pensionskasse, ihre Anteile an der israelischen Firma Elbit Systems zu verkaufen, weil diese Überwachungssysteme entwickelt, die an der Mauer in der Westbank eingesetzt werden. Im Siegesrausch der BDS-ler wurde verschwiegen, dass diese Pensionskasse bei Waffenproduzenten ohnehin generell nicht anlegen darf und dass sie zuvor bereits ca. eine halbe Milliarde Euro in Israel investiert hatte. Davon wurde nur ganz wenig in Elbit-Aktien investiert, und der norwegische minimale Teil-Ausstieg hatte ohnehin keine nennenswerte Bedeutung für das israelische Rüstungsunternehmen.
Darüber hinaus ist beim besten Willen nicht zu sehen, welche israelische verbrecherische Handlung durch die Boykotte verhindert wurde. Die Kampagne-Befürworter argumentieren dagegen, es brauche Zeit, bis die Aktion richtige Früchte trage. Sie vergessen dabei aber, dass Israel schon seit seiner Staatsgründung mit verschiedensten Boykotten und Sanktionen konfrontiert ist und diese sehr selten oder gar keinen Einfluss auf seine aggressive Politik hatten. Ganz im Gegenteil, man kann oft sogar eine Trotzreaktion beobachten, und für viele Israeli sind solche Druckversuche eine Art Bestätigung für die verbreitete jüdische paranoide Haltung: »Die ganze Welt ist gegen uns – Gott sei Dank
Auch die Hamas-Bewegung in Gaza, die mit viel härteren Sanktionen durch die israelische Strangulierungspolitik konfrontiert wird, gibt ja nicht nach, was die Effektivität solcher Massnahmen in Frage stellt. Das Beispiel Gaza zeigt auch, dass massivere Sanktionen gar nicht so friedlich und gewaltfrei sind, wie im Zusammenhang mit der BDS-Kampagne gegen Israel behauptet wird. Die israelische Belagerung von Gaza demonstriert einmal mehr (siehe Beispiel Iran oder Irak), dass umfassendere Boykottmassnahmen grundsätzlich sehr viel Leiden und Opfer bei den "normalen" Leuten verursachen und oft lediglich die jeweilige Führung stärken.
Die BDS-Kampagne gegen Israel gaukelt ihren Anhängern etwas vor, wenn sie den damaligen angeblich  erfolgreichen Boykott gegenüber Südafrika als Vorbild propagiert. Denn es liegen einige Indizien dafür vor, dass die formelle Abschaffung des südafrikanischen Apartheidstaates nur erfolgte, weil die weissen Regierenden sich erhofften – auch wenn die ANC militärisch praktisch bereits am Boden lag – damit Investitionen aus dem Ausland anzulocken (diese Rechnung ging übrigens bislang auch nicht ganz auf).
Die israelische Situation ist völlig anders. Trotz der zahlreichen israelischen Verbrechen bzw. gerade deshalb, der zunehmenden Kritik im Westen und der unsicheren politischen und militärischen Lage wuchsen die ausländischen Investitionen in dieses Land in den letzten Jahren wie noch nie.
Die BDS-Kampagne kanalisiert berechtigte Kritik und erweckt den falschen Eindruck, dass damit auch "einfache" Leute auf die Geschehnisse im Israel-Palästina-Konflikt Einfluss nehmen können. Diese Ersatzhandlung beschreitet ein sehr heikles Terrain und bietet der gegnerischen Seite – beispielsweise den so genannten pro-Israel-Lobbys, welche das Boykott- und Gegenboykottspielchen viel besser beherrschen – eine willkommene Steilvorlage. Ich selber weiss darüber ein Lied zu singen, wie ich wegen meiner antizionistischen Position unter dem Druck solcher Lobbyisten von vielen Medien seit Jahren boykottiert werde.
Angesichts der kritischen Situation der Palästinenser, vor allem im Gaza-Streifen, bräuchte es ganz dringend den Stopp der schleichenden ethnischen Säuberung, welche jeden Tag schlagartig zu eskalieren droht.
Eine neue Strategie, welche die grosse Gefahr kurzfristig entschärfen und zugleich eine realistische Vision bieten könnte, ist vordringlich nötig. Eine solche könnte beispielsweise die sofortige und einseitige Auflösung des Fatah- und  Hamas-Regimes und die Aufgabe nationalistischer Fantasien auch von Palästinensern sein. Diese beiden Regimes dienen, unabhängig von den jeweiligen Herrschenden, aufs Beste den Interessen der israelischen Regierenden. Denn damit werden die finanziellen, militärischen und politischen Besatzungskosten erheblich reduziert. Die israelischen „Sicherheits“-Kräfte müssen weniger Aufwand betreiben, da die palästinensische Bevölkerung von den bewussten (Fatah) und unbewussten (Hamas) Handlangern – von den 'eigenen' Leuten also – unterdrückt wird. Die israelische Besatzungsmacht kann auf diese Weise die kostspieligen Unterstützungsprogramme zugunsten der Notdürftigen weitgehend ausländischen Regierungen und Organisationen aufbürden, und gegebenenfalls kann das israelische Militär praktisch unbehindert die palästinensische Infrastruktur, wie Elektrizitätskraftwerke usw. zerstören, die Israel ansonsten als Besatzungsmacht aufrechterhalten müsste.
Die Aufhebung der palästinensischen Regimes sollte deshalb der erste Schritt einer positiven Kampagne sein, die die israelischen Bürgerrechte für sämtliche Palästinenser und deren Gleichberechtigung fordern soll. Sogar unter den israelischen Rechten gibt es immer lautere Stimmen, die für die Einbürgerung der seit 1967 von Israel beherrschten Palästinenser sind.
Eine solche Kampagne bedeutet unter anderem auch der massive Ausbau von echten gemeinsamen arabisch-jüdischen Bewegungen, die das Ziel eines gemeinsamen demokratischen Staates vielleicht ähnlich jenem des föderalistischen Schweizer Modells – verfolgen werden. Diese notwendigen und längst fälligen Zusammenschlüsse werden teilweise durch die BDS-Kampagne, aber auch durch gegenseitige rassistische Vorurteile auch unter Friedensbewegten verhindert.
Es scheint, dass der einzige realistische Ausweg auf dem beidseitigen palästinensischen und jüdischen Verzicht auf nationalistische Träumereien ruht.
 

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