Sunday, January 18, 2009

Die nächste kriegerische Runde ist somit bereits programmiert

In eckigen Klammern sind Passagen, die keinen Platz in der Zeitung fanden bzw. nachträglich beigefügt wurden:

Sonntag / Mittellandzeitung (Schweiz); 18.01.2009; Seite 15

Meinung

Der nächste Krieg ist programmiert

Von Shraga Elam*

Die Nachricht: Die israelische Regierung plant einen einseitigen Waffenstillstand in Gaza. Das grüne Licht von Präsident George Bush für diesen Krieg – das «Abschiedsgeschenk» an seinen Nachfolger – erlischt offensichtlich vor Amtsantritt Obamas am Dienstag.
Der Kommentar: Eine erste Bilanz nach drei Wochen Krieg zeigt, dass Israel den militärischen Sieg nach Punkten, aber kein K. o. erreichte. [Einige israelische Kommentatoren sind sich einig, dass die einseitige Waffenruhe lediglich den internationalen Druck reduzieren und Israel ausländische Legitimation für einen härteren Vorgang verschaffen, falls keine Waffenruhe zustande kommt oder diese zusammenbricht.
Israel handelt offensichtlich nach folgendem arabischen Witz:
Ein Muslim ging zur Moschee, die er aber geschlossen vorfand. Der „Gläubige“ darauf erleichtert: Ich danke Dir Gott, dass das von Dir und nicht von mir kommt.]
Fakt ist: Verteidigungsminister Ehud Barak ist im Wahlkampf massiv gestärkt, die Hamas sind militärisch und politisch geschwächt, die Palästinenser und Araber gespaltener denn je und die syrische Friedens-«Offensive» abgewehrt.
Die israelische Armee brüstet sich, sie hätte sich besser als vor zwei Jahren im Libanon präsentiert, und gravierende Mängel bei der Planung, Ausrüstung, Logistik und Kriegsführung seien weitgehend behoben. Im Schlachtfeld wurden neue High-Tech-Systeme erprobt. So kamen Nachtsichtgeräte zum Zug, die der israelischen Armee erhebliche Vorteile verschafften.
[Anderseits ist der heutige Gegner bedeutend schwächer als die Hisbollah, und die Gegebenheiten in Gaza sind in mehreren militärischen Hinsichten günstiger als im Südlibanon. Trotzdem schaffte es Israel nicht, die palästinensischen Raketenangriffe zu neutralisieren.]
Die israelische Führung hat mit viel mehr Verlusten unter den eigenen Soldaten und Zivilisten gerechnet. Sie spielte zwar russisches Roulette mit dem Leben ihrer eigenen Bürger. Der – angeblich nicht als Folge eines Raketenbeschusses – ausgelöste Brand in einer chemischen Fabrik nahe der Stadt Ashdod deutete auf die Gefahr für zahlreiche Zivilisten hin, die eine massive Eskalation mit sich gebracht hätte. Doch dazu kam es nicht.
Also aus israelischer Sicht ein erfolgreicher Krieg? Wohl kaum. Die mittel- und längerfristigen politischen, juristischen und moralischen Auswirkungen dieses Krieges und die massive Verschärfung der humanitären Krise sind verheerend. Sogar die prominente rechtsradikale israelische Juristin Prof. Yafa Silberschatz rechnet damit, dass israelische Soldaten wegen Kriegsverbrechen vor europäische Gerichte gebracht werden. Die machtlose israelische Friedensbewegung geht angesichts der starken patriotischen Welle geschwächter aus der Krise hervor. Die Aussichten auf Frieden im Nahen Osten rücken damit in weite Ferne, zumal der Hass zwischen Arabern bzw. Muslimen und Juden (nicht nur in Israel) grösser wurde, die Motivation für Terroranschläge wächst und die wirtschaftlichen Kosten für Israel katastrophal ausfallen. Die nächste kriegerische Runde ist somit bereits programmiert.
* Shraga Elam ist israelischer Journalist und Friedensaktivist.

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